Donnerstag, 17. November 2022

Das rote Spiegelbild

(in Anlehnung an das Original: „Das Geheimnis des Rothe-Bachs bei Paderborn“ im Buch „Sagen und Legenden des Paderborner Landes“ von Therese Pöhler) Julius beobachtete den hellblauen Himmel, der am Horizont orangegelb eingefärbt war. Er war müde, so müde, dass er kaum noch einen Schritt vor den anderen setzen konnte. Die ganze Nacht war er wach gewesen und hatte darüber nachgedacht. Er liebte Felicitas und wie sie ihre langen, blonden Haare vor Freude schüttelte, wenn er ihr von einer Neuigkeit berichtet hatte. Ein Blick in ihre hellblauen Augen ähnelte dem sehnsuchtsvollen Schauen in den morgendlichen Himmel und dem Warten auf einen Tag, der nur Gutes bringen würde. Niedergeschlagen stapfte er den Weg weiter, der ihn zum Rothebach führte. Er erinnerte sich an eine Geschichte, die ihm seine Mutter erzählt hatte und die hatte es von ihrer Mutter und die wiederum von ihrer. Worum es darin ging, spukte schon seit Tagen in seinem schweren Kopf umher. Es ließ ihn nicht mehr los. Erschöpft in Geist und Körper setzte er sich auf eine Wiese mit grünen Pflanzen, die sich an den Wiesenboden wie eine Geliebte schmiegten, und deren doldenförmigen, fliederfarbenen Blüten ihm sehr gefielen. Er begann, dem plätschernden Geräusch des Rothebaches zu lauschen. Das wiederkehrende, beruhigende Rieseln des Baches kam ihm vor, als ob eine beruhigende Stimme aus alten Zeiten zu ihm sprach und ihm helfen wollte. Julius schloss die Augen und atmete tief ein. Der zugleich erdige und erfrischende Duft von Wasserminze durchströmte ihn. Seine Gedanken schweiften ab und fanden sich in jenem Loch wieder, das ihn hierher in die Stadtheide geführt hatte. Der Vater von Felicitas wollte nicht, dass Julius sie heiratete. Er verhinderte es mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Julius‘ bester Kumpel Finn trug ihm sogar zu, dass Felicitas‘ Vater behauptete, dass Julius noch eine Freundin hätte. Deswegen gab es gestern einen Riesenstreit zwischen Julius und Felicitas. Sie glaubte dem Gerücht, dass er ein Verhältnis mit einer Kollegin hätte und sie machte Schluss. Es traf ihn tief, aber der Tag war noch nicht zu Ende, als er erfuhr, dass Felicitas einen neuen Freund hatte. Es war merkwürdigerweise Finn und er verstand überhaupt nichts mehr. Sein Herz war vom Schmerz der Trennung durchzogen. Er öffnete wieder die Augen und sah zu dem Rothebach, der von hohen, breiten, westfälischen Eichen und stillen, in sich gekrümmten Kopfweiden umrahmt war und ihm wie eine Schutzmauer erschienen. Wenn er doch nur eine Lösung für seinen Liebeskummer hätte. Eine schwere Last lag auf seiner Brust und umklammerte ihn so fest, als würde ein Eisenring ihn beengen. Eine Träne rann seine Wange herunter und tropfte auf eine Wasserminzenpflanze. Der erdig-frische Duft stieg ihm in die Nase und er holte nach einigem Zögern sein Tagebuch heraus. Es war in hellbraunem Leder gebunden und zeigte bereits von seinen Fingern speckige Spuren, da er in letzter Zeit öfters das Bedürfnis hatte, seine Gedanken festzuhalten. Julius schlug das Buch auf und stellte mit Erstaunen fest, dass er bereits auf der letzten Seite angekommen war. Sein letzter Eintrag war, dass er sich an das Versprechen erinnern wollte. Inzwischen war die Sonne weiter aufgegangen und erste Sonnenstrahlen streiften sein Gesicht. Schnellentschlossen erhob er sich und das Buch fiel aus seinem Schoß in die Wiese. Er hatte einen Plan und nichts würde ihn aufhalten. In Felicitas‘ Augen sah er eine Mischung aus Überraschung und Abneigung. Sie stand in ihrem Morgenmantel vor ihm. Riesige Mohnblumen, die ihren begehrenswerten Körper bedeckten. „Was willst du hier?“ Julius hielt das Tagebuch in der Hand und sah ihr fest in die Augen. „Dich an das Versprechen erinnern.“ Im Hintergrund hörte er eine männliche Stimme und hatte spontan ein ungutes Gefühl. Felicitas‘ Vater erschien hinter ihr und funkelte Julius erbost an. „Willst Du es noch von mir hören?“ Julius ballte die Fäuste. „Sagen Sie es mir, damit ich es weiß.“ Die hohe Stirn des Vaters bildete viele runzlige Falten, als dieser antwortete. „Finn ist der ideale Mann für meine Prinzessin.“ Julius war bereit in den Kampf zu ziehen und holte eine Erinnerung aus seinem Gedächtnis. „Haben Sie schon von den Heidealten gehört und von der Heilkraft des Rothebachs?“ Der Vater winkte abwertend ab. „Was für ein blödes Zeug faselst du da? Ich sage dir jetzt klar und deutlich, dass du Felicitas in Ruhe lassen sollst. Das ist alles.“ Julius gab nicht auf. „Warum ist Finn ideal?“ Mit den Händen in den Hosentaschen antwortete er Julius. „Also, gut, wenn du es unbedingt wissen willst. Finn hat mehr auf der Joppe und keine Flicken auf der Buchse.“ Julius kochte innerlich. „Wenn ich mehr hätte, dürfte ich Felicitas heiraten?“ Ihr Vater lachte schallend. „So ist es, Pattjackel.“ Julius hatte es mit einem der stursten Westfalen in der Stadt zu tun und es kostete ihm totale Beherrschung nicht ausfallend zu werden, doch er dachte an seine Zukunft und in dieser Vision würde auch Felicitas‘ Vater eine Rolle spielen. Er musste den Ball flach halten, auch wenn es ihm verdammt schwerfiel. Mit einem Grummeln im Magen erwiderte er seinem vielleicht zukünftigen Schwiegervater. „Herr Wiesenkemper, ich habe ihrer Tochter ein Versprechen gegeben, auch wenn ich es gebrochen habe, so werde ich einen Weg finden, es einzulösen.“ In den Augen von Felicitas‘ Vater sah er Belustigung und Verwunderung, als dieser ihm entgegnete. „Finn wird sie glücklich machen. Das ist mein letztes Wort.“ Julius sah zu Felicitas hinüber, die die ganze Zeit schweigend dabeistand. Sie zuckte mit den Schultern. „Ich will eigentlich nur meine Ruhe, wenn ihr mich fragt.“ Julius trat einen raschen Schritt auf Felicitas zu und griff nach ihrer Hand. „Ich bin ein Kind aus der Stadtheide und denen fällt immer etwas ein.“ Leicht genervt blickte sie Julius an. „Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, aber bitte schön.“ Felicitas‘ Vater sah streng auf die Hand von Julius, die immer noch ihre Hand hielt. Julius ließ los und sah ihrem Vater direkt in die Augen. „Sie werden sehen, Herr Wiesenkemper. Ich bin nicht so ein Schlot wie Sie denken.“ Julius machte auf dem Absatz kehrt und blickte nicht noch ein Mal zurück. In seinen Sinnen schwebte eine Vorstellung, wie seine Zukunft aussehen könnte. Wenn er genauer darüber nachdachte, war es mehr als eine Vorstellung. Er glaubte daran, dass es sich so erfüllen würde. In seinem Blick war wilde Entschlossenheit für seine Liebe zu Felicitas zu kämpfen, egal wie hoch der Preis war. Julius wusste, wohin er gehen musste, als er vor diesem kleinen Holzhaus, das direkt an dem Rothebach stand, anklopfte. Eine alte Frau mit weißen Haaren, die zu einem Dutt hochgesteckt waren, und einem schlichten Kleid mit kleinem Blümchenmuster öffnete die verwitterte, wohl ehemals dunkelbraune Holztür. „Sie wünschen?“ Julius war frohen Mutes, da er die Legende kannte und sein Herz die Antwort ihm nicht nur vorschlug, sondern er fühlte sie. „Meine Mutter meinte, dass man Sie fragen könnte, wenn einem eine tiefe Traurigkeit erfasst.“ Die alte Dame kicherte heiser. „Eine weise Frau, Ihre Frau Mutter. Kommen Sie rein.“ Die alte Dame schwang die Tür weiter auf und gab ihm ein Zeichen, hereinzutreten. Mit vorsichtigen Schritten ging Julius in das niedrige Häuschen. Er hatte das Gefühl, jeden Moment an der Zimmerdecke anzustoßen und so ging er leicht gebückt. Die alte Dame lief in ein schlicht eingerichtetes Wohnzimmer. Ein Sofa in einem Grauton, der sowohl Alter also auch Edles darstellte, stand nahe am Fenster. Es war mit pinkfarbenen Häckeldeckchen auf den Armlehnen dekoriert. Die Füße des Sofas waren von herabhängenden Fransen in einem helleren Grauton verdeckt. Julius entdeckte bei genauerem Hinsehen einen Katzenkopf, der die Fransen leicht zum Bewegen brachte. Auf einem dunkelbraunen, runden Holztisch lag ein weißes Häckeldeckchen und stand eine Duftlampe, die einen beruhigenden Wohlgeruch im Raum verbreitete. Der Minzgeruch stieg ihm angenehm in die Nase und verursachte ein Gefühl, daheim zu sein. Angekommen zu sein. An einem Ort zu sein, an dem ihm geholfen werden würde. Die alte Dame nahm auf einem der beiden dunkelbraunen und edlen Holzstühle Platz und wies mit ihrer Hand auf den freien Stuhl. „Nehmen Sie Platz, junger Mann. Wie heißen Sie?“ Julius plumpste auf den Stuhl, der ein knarzendes Geräusch von sich gab. „Julius Appelboom.“ Ihre grauen Augenbrauen hoben sich leicht. „Und was führt Sie zu mir?“ Julius’ Herz war erfüllt mit einer Schwere wie Blei und der erste Satz, der über seine Lippen kam, stolperte. Dann folgte der zweite, der dritte und immer mehr, bis die alte Dame alles wusste, was sie zu wissen brauchte. Ihr Lächeln war gütig. „Sie wissen, dass ich eine Heidealte bin, stimmt das?“ Julius nickte stumm. Sie lächelte milde. „Man sagt mir nach, dass ich eine Heilhand habe, um Gebrochenes zu festigen und dass ich einen Heilmund habe, um einen guten Rat zu geben.“ Julius fühlte Beklemmung, aber trotzdem fragte er. „Was hat es mit dem Spiegelbild in dem Rothebach auf sich?“ Die alte Dame lachte. „Das wollen Sie wissen? Deswegen sind Sie hier?“ Julius nickte erneut stumm und lauschte der Erklärung der Heidealten aufmerksam. Er merkte sich jedes ihrer Worte, während er in ihre hellen, strahlend blauen Augen blickte. Julius sah zur Sonne hinauf, die am azurblauen Himmel leuchtete und er spürte den Hauch des Wiesenwindes in seinem Gesicht und in den Haaren. Die Sonne wanderte heute anscheinend besonders schnell. Sein Zeitgefühl war von dem Liebeskummer getrübt. Er wollte heute noch alles erledigen, aber er wusste nicht, ob er es auch wirklich schaffen würde. Die Heidealte machte ihm Mut und sprach ihm gut zu, als sie ihm eine Hand auf die Schulter legte. Ihre Hand war warm. Das spürte er durch das Sweatshirt hindurch. Ein wenig fand er es gruselig, aber andererseits war Wärme positiv, denn Wärme, die vom Herzen ausging und über eine Hand ausstrahlte, konnte heilen, dachte er. In seiner rechten Hand hielt er sein Tagebuch, aufgeschlagen in der Mitte. Er las die Stelle mehrmals. Er konnte sie am Schluss auswendig. Julius lief den Weg entlang und zur kleinen Brücke, die über den Rothebach führte. Die dunkelstämmigen Eichen waren geschmückt mit vollem Blattwerk und die Kopfweiden schienen sich vor ihm zu verneigen, da er nun endlich den Entschluss gefasst hatte, sich Hilfe aus den Kräften der Natur zu holen. Er lief den kleinen Trampelpfad entlang, den anscheinend am Bach spielende Kinder nutzten, da die Grashalme niedergetreten waren und kleine Holzboote aus Rinde und einem Segel-Eichenblatt, aufgespießt auf einem winzigen Ästlein, verstreut herumlagen. Seine Gedanken wirbelten umher, so wie das fließende klare Wasser des Rothebachs. Er erinnerte sich an das, was die Heidealte ihm geraten hatte. Sobald das Wasser sich rot färbte, sollte er seine Hand, mit der er damals das Versprechen gegeben hatte, eintauchen und dann auf die guten Mächte des Rothebachs vertrauen. Nervös näherte er sich dem Bach. Das Wasser war sehr niedrig. An manchen Stellen sah er größere Steine im Rothebach liegen. Das Plätschern verstärkte seine Anspannung. Mit langsamen Schritten lief er ans matschige Ufer und ging in die Hocke und verlagerte sein Gewicht auf das rechte Knie. Er konzentrierte sich auf die Frage, die ihn umtrieb. Er beugte sich über die sich kräuselnde Wasseroberfläche und blinzelte. Er dachte an das Versprechen, das er Felicitas gegeben hatte. Intensiv spürte er ein leichtes Kribbeln in seinen Händen und wie die Heidealte es vorausgesagt hatte, konnte er tatsächlich sein Gesicht auf der unruhigen Wasseroberfläche erkennen. Es war durchdrungen von den schnellen Bewegungen des Wassers, aber klar und deutlich war es wie sein Spiegelbild, das er morgens im Badezimmerspiegel erblickte. Eine Welle der Erleichterung ging durch seinen Geist, aber gleichzeitig durchströmte ihn Hitze, da er nicht wusste, wie der Rothebach auf seine Frage, die ihn so stark bewegte, reagieren würde. Täuschte er sich oder sah er nun wirklich rötliche Wellen, die sich auf ihn zubewegten? Die Heidealte sprach von den Ockergründen, durch die sich der Rothebach entlangschlängelte, und daher solche Wellen auslösen konnte. Er hielt den Atem an, als eine rötliche Welle sein gespiegeltes Gesicht erreichte und ihn in Schamesröte zeigte. Jetzt musst er es tun. Das sagte jedenfalls die alte Dame. Er streckte seine rechte Hand, mit er damals das Versprechen gegeben hatte, zögernd aus und tauchte sie in sein vom Rothebach errötetes Spiegelbild. Eine heftige Gefühlswelle durchfuhr ihn. Es war, wie die Heidealte es vorausgesagt hatte. Eine Erkenntnis traf ihn. Hart. Sofort. Unwiederbringlich. Gestärkt von den Sonnenstrahlen, die Julius noch durch das dichte Blätterwerk der Bäume mitten im Juli erwischten, ging er mit federnden, leichten Schritten den Trampelpfad zurück, vorbei an den kleinen Spielzeugbooten. Er nahm eines und lief schnell zurück. Dann setzte er das Bootchen auf dem Wasser auf und sah, wie es unter der Brücke verschwand und immer weiter schwamm, seinem Ziel entgegen. Dieser Gedanke ermunterte ihn, mit voller Kraft und dem wieder erlangten Glauben an seine Ehre, sich dem Widerwillen seiner Mitmenschen zu stellen und ihnen zu zeigen, was es heißt, ein Versprechen ernst zu nehmen. Er lief den Weg durch den Wiesengrund zurück und kam an den immergrünen Wacholdersträuchern vorbei. Er pflückte ein paar Beeren und steckte sie in den Mund. Sie waren so sauer, dass er den Mund verzog und es ihn leicht schüttelte. Er spuckte sie aber nicht aus. So war das Leben, dachte er. Es schmeckte manchmal unverhofft ganz schön sauer, aber man konnte sich damit arrangieren, wenn man an seine Kraft glaubte. Es war schon dunkel, als Julius immer wieder auf den silbernen Klingelknopf drückte, bis schließlich die Tür aufging. Finn stand vor ihm und gähnte. Julius starrte in den offenen Mund, in dem die Zähne blank lagen. Die Zähne sind ein Symbol für Stärke, dachte er. Finn wollte damit Macht demonstrieren, anscheinend. Julius überwand sich die Frage zu stellen, die ihn schwer beschäftigte. „Liebst du Felicitas?“ Finn, der im weißen T-Shirt und hellgrauer, schlabbriger Jogginghose vor ihm stand, knickte leicht ein, so als hätte ihn ein Faustschlag mitten in den Bauch getroffen. „Julius, was ist das für eine Frage?“ Finn schaute auf seine Armbanduhr. „Schon mal auf die Uhr geschaut, Alter?“ Julius musste am Ball bleiben. Es ging um viel zu viel, um sich mit solchen Sprüchen abspeisen zu lassen. Er näherte sich Finn einen Schritt, indem er sich auf die erste der drei Treppenstufen vor dem Hauseingang stellte. „Ich gehe nicht ohne Antwort.“ Finn sah mit einem Schlag besorgt aus. „Dir ist es ernst, was?“ Julius nickte und erhielt dann seine Antwort. Die Sonne ging in dem strahlendsten Orange auf, das Julius kannte. Das Blau des Himmels war so intensiv wie noch nie, als er die Flugzeughalle betrat. Er eilte zu dem Hubschrauber und der Hubschrauberpilot öffnete ihm die Tür zum Beifahrersitz. Julius spürte sein Herz klopfen. In seinen verschwitzten Händen hielt er einen Blumenstrauß. Der Pilot sah ihn mit sorgenvoller Miene an. „Es ist schon ein wenig außergewöhnlich, finden Sie nicht auch?“ Julius lächelte unsicher. „Die Sache ist es wert. Sie werden sehen.“ Der Hubschrauberpilot warf einen Blick hinter die Sitze. Ein ganzes Meer an Rosen in Rot und Weiß. Julius wollte auffallen, um jeden Preis. Lange genug hatte er sich vor Felicitas‘ Vater versteckt. Ihr Vater war furchteinflößend, aber er war nur voller Misstrauen und in erster Linie besorgt um das Wohl seiner Tochter. Das war die Erkenntnis, die er hatte, als er seine rechte Hand in das rote Spiegelbild auf der Wasseroberfläche des Rothebachs getaucht hatte. Dieses plötzliche Einfühlungsvermögen hatte es ihm ermöglicht, kreativ mit dieser Situation umzugehen und er war höchst erstaunt, als sein bester Kumpel Finn ihm berichtete, dass er von den Heiratsplänen, die Felicitas‘ Vater mit ihm hatte, sehr genervt war. Felicitas war hübsch, keine Frage. Sie war auch begehrenswert. Das stand auf keinen Fall zur Debatte. Aber sie war auch die Freundin seines besten Kumpels. Julius war erleichtert, als er diese Worte seines Freunds Finn vernahm. Er umarmte ihn und drückte ihn an sich. Es war, als ob der leichte und unbeschwerte Wind, der im Wiesengrund des Rothebachs wehte, ihn innerlich erfüllte. Es war eine riesige Erleichterung, aus dem Mund seines Freundes zu hören, dass er doch niemals ihm Felicitas wegschnappen würde. Er wäre doch ein Ehrenmann. Und Julius schnaufte schwer bei diesen Worten seines Kumpels. Seine verloren geglaubte Ehre war anscheinend zurück, so wie die Heidealte es vorausgesagt hatte. Der Hubschrauberpilot schaltete den Motor des Hubschraubers ein und das laute Geräusch der Rotorenblätter vermischte sich mit den nervösen Gedanken von Julius, was wohl Felicitas dazu sagen würde. Der Hubschrauber schwebte ungewöhnlich sanft in der Luft und flog Richtung Sonne, direkt in Julius‘ Zukunft. Er hielt immer noch den Strauß mit sieben roten Rosen in seinen Händen, als der Pilot ihm ein Zeichen gab. „Herr Appelboom, wir sind gleich da. Da unten, sehen Sie?“ Julius sah das Haus, das wie Spielzeug auf ihn wirkte. Aufgeregt blickte er zu der Strickleiter, die hinter ihm lag. Gleich würde er auffallen, und zwar so richtig. Julius klammerte sich an der Strickleiter fest. Er blickte unruhig nach oben, aber der Hubschrauberpilot hob den Daumen. Dann dirigierte er den Hubschrauber immer näher an das Haus von Felicitas. Es dauerte keine Minute und Julius sah Felicitas wie einen Gummiball auf und ab hüpfen. Julius sah zum Piloten und gab ihm ein Zeichen. In diesem Moment drückte dieser einen Knopf und es regnete Rosen. Und die Rosen fielen auf eine fröhliche Felicitas hernieder. Sie drehte sich im Kreis, wie ein kleines Kind, dem schwindelig werden wollte. Der Pilot gab Julius ein Zeichen, dass er zum Landen ansetzen wollte. Der Erdboden näherte sich und ein flaues Gefühl ging durch Julius‘ Magen. Gleich konnte er den ersten Fuß auf die Wiese setzen. Er hatte es garantiert tausend Mal mit dem Piloten geübt, aber trotzdem klopfte ihm das Herz bis zum Hals. Sein rechter Fuß berührte zuerst die Wiese, dann sprang er beherzt von der Leiter ab und lief direkt auf Felicitas, die immerzu grinste, zu. Er kniete vor ihr nieder. „Meine Liebe des Lebens, willst du meine Frau werden?“ Felicitas schaute hoch zum Hubschrauber und wieder zurück zu Julius. Sie rang mit sich. Das konnte Julius spüren. Der Moment war so romantisch. Er war geradezu perfekt, da sah er Felicitas‘ Vater aus dem Haus stürmen. Ihr Vater sah erbost aus. „Was soll dieser Zauber? Haben Sie zu viel Geld?“ Julius drückte Felicitas verlegen den Strauß in die Hand. Sie schaute angespannt, als sie ein leises „Danke“ flüsterte. Ihr Vater baute sich vor Julius auf. Er kam Julius, wie eine Mauer vor, die es zu durchbrechen galt. „Herr Wiesenkemper, ich habe ein Versprechen heute eingelöst.“ Felicitas’ Vater deutete entsetzt auf den Helikopter. „Das ist das Versprechen?“ Julius sah zu Felicitas. „Ich habe ihrer Tochter einen außergewöhnlichen Heiratsantrag versprochen.“ Ihr Vater lachte. „Das ist wirklich originell. Aber wenn Sie mich fragen, übertrieben, viel zu viel.“ Julius merkte eine große Gegenwehr in sich, aber die Kraft, die ihm das Rothewasser gegeben hatte und die Erkenntnis, mit ihrem Vater mitzufühlen, veranlasste ihn dazu, auf ihren Vater zuzuschreiten. Julius breitete die Arme aus und lief weiter. Ihr Vater hob erst zögerlich die Arme und lief dann auf Julius zu. Julius legte beide Arme um ihren Vater. „Ich werde der beste Ehemann der Welt für sie sein.“ Ihrem Vater rannen Tränen die Wangen herunter. Felicitas holte ein Taschentuch heraus und gab es ihm. Peinlich berührt und leicht errötet tupfte er seine Gefühlstränen hinweg. Er antwortete Julius leicht stockend. „Ich bin froh, dass Sie mich verstehen. Ich dachte, dass sie Ihnen viel weniger wert ist.“ Julius schüttelte energisch seinen Kopf. Ihr Vater blickte entschuldigend. „Finn kam mir um so vieles besser vor.“ Julius schnaufte. „Ich habe mit ihm geredet. Felicitas‘ Vater nickte leicht seinen Kopf. „Ich weiß, er hatte angerufen.“ Doch Julius wollte nicht mehr länger reden, er eilte zu Felicitas. Er küsste sie leidenschaftlich und sagte zu ihr: „Das ist ein Versprechen, allerliebste Felicitas. Und ich werde es nie vergessen, dank dem treuen und ehrenvollen Wasser des Rothebachs.“

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