Mittwoch, 8. März 2023

Ach so (Neues von Jan Giebken, dem Kommissar aus "Leise kriselt der Schnee" (Digital Publishers))

Seine buschartigen Augenbrauen hoben und senkten sich und dann hoben und senkten sie sich noch einmal. Bevor ich es vergesse, sie hoben und senkten sich ein drittes Mal. Erst dann sprach er. Er sagte nur zwei Wörtlein. „Ach so.“ Das war alles. Aber es reichte, um zu wissen, dass Inspektor Jan Giebken, ein lockiger, brünetter Anfangdreißiger, seine Gehirnzellen dermaßen in Schwung gebracht hatte, dass sie rotierten und vor lauter Schwindel und Glücksgefühlen so viel Aktivität besaßen, um zu schlussfolgern, dass er eine grobe Ahnung hatte. Er hatte eine grobe Ahnung, wer um 19.17 Uhr und 34 Sekunden das Bürogebäude nicht verlassen hatte. Giebken hatte seinen Wintermantel trotz minus zehn Grad Celsius zuhause an einem Garderobenhaken, der aussah wie ein an die Wand genagelter Damenschuh hängen gelassen. Er hielt sich für einen Meister im Autogenen Training. Er murmelte vor sich her. „Arme ganz warm, Hände ganz warm, Oberkörper ganz warm.“ Aber nicht nur für ihn wirkten diese Mantras, auch seine Assistentin Cordula, genannt Meierchen, begann zu schwitzen. „Jan, könntest du nicht mal für ein paar Minuten aufhören mit dem Gemurmel, während wir den Tatort untersuchen?“ Cordula blickte auf die leblose Gestalt, die sich auf dem Bürostuhl zusammengefaltet hatte. Das Fenster stand sperrangelweit offen. Giebken war es pudelwarm, aber Meierchen zitterte wie Espenlaub. Die beiden warteten, wie so oft. Und sie warteten. Meine Güte! Und dann haben sie noch einmal gewartet. Endlich schlurfte Dieter, der Forensiker um die Ecke. Und er ließ sich Zeit beim Gehen. Aber zum Glück beherrschte Giebken das Autogene Training und wiederholte immer wieder: „Ich bin ruhig, ganz ruhig.“ Dieter zog als erstes am Haarschopf des weiblichen Opfers und ließ unsanft den Kopf auf die Tischplatte knallen. Sein trockener Kommentar: „Is' jetzt eh wurscht.“ Meierchens Augen weiteten sich vor Entsetzen, aber sie begann sich nervös die Fingernägel zu lackieren, weil Dieter bekanntermaßen in schneckenhafter Geschwindigkeit arbeitete. Als nächstes zog Dieter an den Händen des Büro-Opfers. Er deutete auf die Fingernägel. „Giebken, die sind abgekaut.“ Giebken befand sich gerade wieder in einem Mantra, hörte dennoch zu. Er nickte reflexartig. „Ach so.“ Giebken überlegte, was das heißen könnte. Dann endlich erwischte ihn der Geistesblitz wie ein überfälliges Taxi an der Bushaltestelle. „Dieter, diese Frau war nervös bis zum Abwinken, stimmt's?“ Dieter nickte auch. Ihm fiel sonst nichts ein und deswegen schwieg er. Plötzlich sah Giebken das Buch, das neben der Leblosen lag. Der Umschlag war lila und hellgrün. Er hob es hoch und sagte: „Ach so.“ Der Titel sagte ihm was und Meierchen beobachtete, wie auch Dieter angestrengt nachdachte. Giebken murmelte: „'Das Tabu' ist kein alltäglicher Titel. Das könnte ein Hinweis sein, was Dieter?“ Dieter brummte. Er brummte immer, wenn er anderer Meinung war. Mit dem zweiten Brummen überwand sich Dieter zu antworten. „Jan, glaubst du an Todesfälle durch Brechen eines Tabus?“ Meierchen lackierte sich weiter hektisch die Fingernägel und hörte gleichzeitig aufmerksam zu, als Giebken entgegnete: „Dieter, hast du denn ein Tabu?“ Dieter grinste. „Ja, aber ich sage es dir nicht.“ Giebken zog eine Fläppe. „Ach menno, Dieter.“ Dieter sah zu Meierchen und sagte dann ganz breit: „Also gut, Jan. Mein Tabu ist Rauchen.“ Giebken konnte nicht anders. Ihm rutschte ein „Ach so“ heraus. Dieter warf ein. „Ach ja, was ist denn daran so komisch?“ Giebken sah auf das Opfer. „Was könnte sie für ein Tabu gehabt haben?“ Dieter kratzte sich am Kinn. „Ich habe keine Ahnung.“ Meierchen seufzte. „Mal wieder typisch Dieter.“ Dieter wurde knallrot und sah aus, als würde er gleich explodieren. „Meierchen, immerhin habe ich den Bahnunfall aufgeklärt.“ Meierchen seufzte erneut. „Dieter, das war kein Wunder, weil es ein Unfall war. Aber die restlichen Fälle in deinen zwanzig Dienstjahren blieben unaufgeklärt.“ Dieter war entrüstet. „Na und, Meierchen. So bin ich halt. Aber vielleicht werde ich hier und heute diesen Fall aufklären.“ Giebken murmelte wieder: „Ich bin ruhig, ganz ruhig.“ Meierchen schloss das Fenster. „Also, Dieter, vielleicht ist ja dieses Buch schuld?“ Dieter wiegte seinen Kopf hin und her, Giebken tat es ihm nach. Giebken fand als erstes seine Worte wieder: „Die Idee ist gar nicht so übel, Meierchen.“ Meierchen rollte die Augen. Dieter bekräftigte Giebkens Aussage: „Ein Buch als Mordwaffe. Wie genial.“ Meierchen lief zum Büro-Opfer und zeigte auf die Frau. „Es könnte aber auch sein, dass sie ein Opfer ihrer Überstunden ist.“ Meierchen regte sich auf. „Was denn nun? Tod durch Tabu oder Tod durch Überstunden?“ Giebken hob und senkte seine buschartigen Augenbrauen. „Ja, wenn wir das wüssten, wären wir alle schon zuhause, was Dieter?“ Dieter kratzte sich ungelenkt am Kinn und meinte: „Jan, wir könnten ja abstimmen.“ Giebken warf ein. „Dieter, wenn du mir voher Tod durch Tabu erklären könntest, ja, sonst nein.“ Dieter holte aus. „In Ländern wie Afrika gibt es das Ritual, dass Neugeborene ein Tabu erhalten. Sie dürfen zum Beispiel keine Bananen essen, sonst würden sie sterben. Und die Macht der Gedanken ist so stark, dass sie, wenn sie aus Versehen eine Banane essen, auch wirklich sterben können.“ Giebken schaute zur leblosen Gestalt. „Dieter, ich habe null Ahnung, was für ein Tabu diese Frau gehabt haben könnte.“ Dieter blickte vorwurfsvoll zu Giebken. „Jan, das ist doch ganz einfach. Wir denken uns ein passendes Tabu aus.“ Meierchen dachte über Dieters Tabu nach. „Dieter, wenn du jetzt eine Zigarette rauchen würdest, könntest du sterben? Von nur einer Zigarette?“ Dieter nickte. „Wenn ich daran glaube, dann schon.“ Meierchen räusperte sich. „Also, wenn du ganz viele und über Jahre rauchen würdest, könnte ich mir das vorstellen.“ Dieter kratzte sich schon wieder am Kinn. „Dann ist das kein Tabu, Meierchen.“ Giebken sagte „Ach so.“ Zu dritt starrten sie auf das Opfer und konnten sich keinen Reim darauf machen, was wirklich geschehen war. Dieter sah fragend in die Runde. „Und, wollen wir noch abstimmen?“ Meierchen seufzte. „Warum?“ Giebkens buschartigen Augenbrauen hoben und senkten sich in epischem Ausmaß. Dieter resignierte dank der Antriebslosigkeit seiner Kollegen. „Wieder ein ungelöster Fall, Jan.“ Giebken entgegnete. „Und was machen wir jetzt, Dieter?“ Dieter kratzte sich mit dem Mittelfinger am Kinn. „Dem Notarzt Bescheid geben.“ Meierchen verstand die Welt nicht mehr. „Wieso das denn, Dieter?“ Dieter grinste. „Das Opfer atmet noch.“ Und tatsächlich hob das Büro-Opfer den Kopf und beschwerte sich, dass Dieter ihm so brutal den Kopf auf den Tisch hatte knallen lassen. Das Büro-Opfer erklärte den dreien, dass gestern um 4 Uhr morgens die Deadline für den letzten Datentransport ins Entwicklungssystem war. Angesichts des mangelnden Schlafes war das Opfer mit dem Kopf auf der Tischplatte eingeschlafen. Giebken rutschte ein „Ach so“ heraus und dann dackelten die drei ab. Das Opfer hörte noch, wie Giebken leise vor sich hin murmelte.

Mein Autoren-Ballettröckchen kneift - eine Anekdote von Frau G.

Ich bin in Elternzeit. Und das nun zum dritten Mal. Misses Knutschknödel ist der blondgelockte, jüngste und frechste Spross unseres Familienclans und fast drei Lenze alt. Bisher war ich bei einem namhaften Softwareunternehmen im Süden Deutschlands arbeiten und habe Softwaredokumentation in allen Größen und Farben in liebevoller Handarbeit gefertigt. Aber ich habe einen Traum. Ich will Autorin werden, und das möglichst während der Elternzeit. Etlicher Schweiß ist schon in zahlreiche Manuskripte geflossen und so warte ich nun täglich auf DEN Anruf. Ich warte auf den Anruf vom Verlag. Übrigens, ich heiße Gerlinde Gans, kurz Frau G. Und mein Motto ist: Gans oder gar nicht. Mein Göttergatte ist nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen, selbst dann nicht, wenn der Bankberater Herr Saft wegen der Dispo-Überziehung anruft. Für Herrn Saft bin ich übrigens die Hausfrau. Das hat er beim letzten Beratungsgespräch mal wieder zum Besten gegeben. Angeblich gibt es keinen Eintrag im Auswahlmenü, der Elternzeit heißt. Herr Saft versucht, da ich drei Kinder habe, verzweifelt seit einigen Monaten mir eine Riester-Rente aufzuschwätzen, aber es gelingt ihm nicht. Inzwischen haben wir Oktober. Wie immer waren wir in den Herbstferien verreist. Natürlich mit der Bahn, weil nur da die Kinder freien Auslauf während der Fahrt haben. Wir kommen müde und erschöpft aus Brüssel zurück, als mir unser Nachbar Herr Brauner einen Stapel Briefe in die Hand drückt. Er hält sich eine Hand vor. „Frau G., Sie hatten einen supergeilen Katalog in Ihrer Post, darf ich ihn mir ausleihen?“ Ich grüble, während sich der cäsarische Unterkiefer meines Göttergatten bedrohlich nach vorne schiebt. Übrigens, dieser Unterkiefer hatte neulich echte Bewunderung von der Kieferorthopädin unseres neunjährigen Juniors erheischt. Unbekümmert sage ich Herrn Brauner:„Ich schenke Ihnen den Katalog.“ Er grinst wie einst der Breitmaulfrosch im Delfin-2-Sprachstandsfeststellungs-Fragekatalog. „Danke“, sagt Herr Brauner und schließt leise die Tür hinter sich. Wieder in der eigenen Bude, durchwühle ich den Briefstapel. Oh! Fette Mahngebühren über zehn Euro, weil ich einen anderen Brief ignoriert hätte. Moment. Ich eile zu meinem Rucksack, schnappe den alten, gammligen nach im-Rucksack-vergessenen-Lachsbrötchen muffelnden Brief und reiße ihn auf. Tatsächlich, eine Rechnung. Da klingelt das Telefon. Der Anrufbeantworter ist schneller. Eine weibliche Stimme spricht aufs Band. Da fällt es mir wieder ein. Bevor wir nach Brüssel gefahren sind, habe ich fünf Manuskripte verschickt. Ich eile ins Arbeitszimmer und drücke erwartungsvoll auf den Wiedergabeknopf. Oh, nein, schon wieder kein Anruf von einem Verlag. Die Dame ist vom hiesigen Stromanbieter. Man droht uns, den Strom auszustellen. Ich bekomme Kornkreise wie bei Bauer Huber auf dem Feld in den Augen, als ich den Betrag trotz stagnierenden Blutdruckes im Brief entziffere. Die Typen wollen exakt 2.477 Euro und 23 Cent. Ich fühle, wie die Erholung von einer Woche Urlaub innerhalb von Sekunden verpufft. Die Dame auf dem Anrufbeantworter sagt, man hätte schon abgebucht und unsere Bank hätte gesagt, dass es ab sofort keine Kontobewegungen mehr gäbe. Wie aus weiter Ferne höre ich das Klingeln an der Haustür. Ich eile nach unten. Schon wieder Herr Brauner. Mein Mann winkt ihn herein. Ich wedele mit dem Brief. „Kennen Sie sich mit Nachzahlungen aus, Herr Brauner?“ Er nickt und keine zwei Minuten später stehen er und mein Göttergatte vor dem allwissenden Stromschaltkasten im Keller. Schritt für Schritt gehen sie alle Kabel durch. Bis eines übrig bleibt. Sie verfolgen die Spur des Kabels, quer durch den Flur, durch zehn Vorratskeller und landen schließlich in der gemeinsamen Waschküche. Herr Brauner wird blass. „Ich glaube, ihr zahlt Strom für ALLE Waschmaschinen.“ Herr Brauner, auch Hausmeister unseres Mehrfamilienhauses schlussfolgert scharf. „Drei Mietparteien haben vor zwei Monaten gewechselt, von Single zu mehrköpfigen Familien.“ Er kratzt sich am Kinn und meint trocken: “Die neue Familie im Erdgeschoss hat fünf Kinder, die im zweiten Stock drei und die dritte hat sieben Verwandte seit Monaten zu Besuch.“ Herr Brauner schreibt mit Bleistift auf die Wand der Waschküche. „Das wären elf Erwachsene und acht Kinder. Für die habt ihr die Stromrechnung bekommen.“ Ich sehe wahrlich düstere Wolken am Schwanensee. Und ich habe kein dekoratives Ballettröckchen mehr. „Und nun?“, blicke ich meinen Göttergatten fragend an. Herr Brauner schraubt tatkräftig die Sicherungen raus. „Anrufen.“ Wir werden Zeuge, wie unser Nachbar mit seiner radiomoderatorengleichen Stimme beim Stromanbieter für uns anruft. Die Dame vom Callcenter steht zum Glück drauf. Um kurz nach sieben klingelt bei uns ein verschlafener Latzhosen-Handwerker. Mein Göttergatte erklärt und erklärt. Aber der Handwerker schüttelt immer wieder nur den Kopf und gähnt herzhaft. „Da kann ich nichts machen.“ Herr Brauner eilt als seelischer Beistand hinzu. Geheimnisvoll hält er etwas hinter seinem Rücken fest. “Meine Frau sagt, sie hätte jemand im Katalog erkannt.“ Er drückt mir den Katalog in die Hand. Als dem schon wieder gähnenden Handwerker beim Betrachten des Kataloges der Unterkiefer stehen bleibt, drücke ich ihm den Dessouskatalog aufgeschlagen in die Hand. Seine Augäpfel rotieren. „Sind Sie das?“ Jetzt ist mir nichts mehr peinlich. „Ja, glauben Sie als Autorin braucht man keine lukrativen Nebenjobs?“ Mein Göttergatte schaut wissend, Herr Brauner blickt zusammen mit dem Handwerker anerkennend. „Autorin ist anscheinend ein interessanter Beruf“, meint schließlich Herr Brauner. Ich beiße auf meiner Unterlippe herum. Ich habe mich entschieden. Ich frage den lüsternen Handwerker, der nun hellwach aus der frechen Latzhose blickt und deute dabei auf die Abbildung. „Würden Sie denn die Sache regeln, wenn ich...?“ Mein Göttergatte ist wie vom Donner gerührt. Ich flüstere ihm zu. „Denk dran, es geht um exakt 2.477 Euro und 23 Cent.“ Aber in den heutigen Zeiten muss man sehen, wo man bleibt, vor allem als Autorin. Fünf Minuten später stehen wir alle vor dem Stromkabelkasten. Der Handwerker knipst freudestrahlend das dubiose Kabel zu den Anzapfern durch. Der schlaue Herr Brauner greift nach den unbeaufsichtigten Bierdosen. Ich seufze, Männer sind doch Kinder. Oh, da fliegt tatsächlich die Mahnung der Stromrechnung, zerrissen in feinste Schnipsel, von dem kooperativen Handwerker. „Wer will noch ein Bier?“ frage ich in edlem Schwarzspitzen-BH mit löchrig feinem Tanga-Slip und wedle mit einer gekühlten Bierdose. Freudestrahlend nimmt mein Göttergatte sie entgegen. Ich wusste doch, dass mir dieser Nebenjob mal nützlich sein wird.

Der überforderte Froschkönig

In zahlreichen Zeitschriften liest man heutzutage von überforderten Menschen. Egal, ob man in Zeitschriften im Wartezimmer beim Kieferorthopäden blättert oder bei der Zahnärztin oder auf die soeben bestellte Pizza wartet. Die Zeitschriften sind voll davon, aber nicht nur Menschen können überfordert sein. Es stimmt, ich sitze viel herum, vielleicht ein bisschen zu viel. Wovon ich träume? Von einem Kuss, von einem leidenschaftlichen Kuss mit viel Honigsüße. Das ist lächerlich? Das finde ich überhaupt nicht. Ich bin froh, dass ich noch Träume habe. Denn, was ich durchmache, geht auf keine Kuhhaut. Ja, ich stehe auf tierische Ausdrücke, aber dazu später. Heute ist ein Dienstag. Dienstage sind prinzipiell meine Glückstage, das habe ich mir so ausgedacht. Ja, ich bin erfinderisch. Meine Fantasie ist lebhaft. Zum Glück,sagt meine Oma. Naja, die muss es wissen. Ich bin bei meiner Oma aufgewachsen. Oh, Mann, ich schweife ab. Die Story erzähle ich ein anderes Mal. Also die Geschichte, die ich heute erzähle, beginnt gerade eben - an einem Dienstag, genauer gesagt an einem Dienstagvormittag. Ich sitze im Hyde Park auf einer Bank und beobachte neidisch die Pärchen, die an mir vorüberziehen. Es ist Januar und ganz schön kalt. Zum Glück habe ich meinen dicken Wollpulli an, den hat mir meine Oma passsend gestrickt. Es ist so kalt, dass mein Atem weiße Wolken in der Luft hinterlässt. Warum ich hier im Hyde Park sitze, auf einer kalten Parkbank? Also, das hat den Grund, dass ich auf jemanden warte, den ich knutschen kann. Das ist aber wahr. Was würden Sie denn machen, wenn Sie der Froschkönig wären? Zuhause fernsehen? Sehen Sie, im Park rummlaufen und schauen, ob jemand knutschen will. Übrigens, Oma hat sich mit ihrem neuesten Strick-Kunstwerk sehr viel Mühe gemacht. Es wird langsam Zeit, dass ich unter Dach und Fach komme, hat sie gesagt. Die gefürchtete Zeitbombe tickt sozusagen, auch bei einem Froschkönig. Ein Froschkönig, der in die Jahre gekommen ist, muss schauen, dass sich endlich jemand überwinden kann, ihn zu knutschen. Das ist nicht einfach, wenn man 50 ist und einen schon die ersten Zipperlein plagen. Ich bin nun Froschkönig in der siebten Generation. Unsere adlige Linie hat Tradition in England, so wie die Royals in London. Also, bevor William sich die Kate geschnappt hatte, habe ich es bei ihr probiert. Aber William ist einfach, sagen wir mal, schneller gewesen. Außerdem hatte er den Vorteil, schon ein Mensch zu sein. Und ich will ja Mensch werden. Unbedingt. Mit einem außergewöhnlich eleganten Hüpfer mit Salto schwinge ich mich auf die Lehne der Parkbank, um Überblick zu bekommen. Frauen ziehen erstaunt an mir vorbei. Eine ist brünett, die andere blond. Ich schürze die Lippen, aber nichts passiert. Sie sind nur neugierig. Überblick zu haben, ist wichtig, sagt meine Oma, vor allem, wenn man so klein ist wie ich. Ich bin nur zehn Zentimeter hoch. Okay, wenn ich mich strecke, sind es stolze 35 Zentimeter. Aber zehn Zentimeter Sitzhöhe ist wirklich nicht viel, um aufzufallen. Wenn ich doch wenigstens reden könnte. Ich kann nur quaken. Sobald eine Frau auftaucht, quake ich, wohl ein wenig zu erbärmlich, denn eine Frau verdreht die Augen, die andere lächelt und eine dritte lacht mich aus. Es ist ein hartes Schicksal, ein Froschkönig zu sein. Doch halt, einem Wesen bin ich aufgefallen, einem Eichhörnchen. Ausgerechnet ein Eichhörnchen? Es stürmt auf mich zu. He, stopp, stopp, halt. Ich will doch nicht zum Eichhörnchen werden. Also hüpfe ich schnellstens von der Lehne herunter und flüchte in extraweiten Sprüngen, doch das Eichhörnchen ist verdammt schnell. Schließlich holt es mich ein. Es weiß sofort, was los ist. Es legt keck seinen Kopf in den Nacken. „Na, immer noch ein Frosch?“ Na, toll, voll in die Wunde rein. Ich quake schüchtern ein „Ja“. Es kichert. „Ich hätte da eine Idee.“ Es kommt gefährlich näher und spitzt die Lippen. Ich hüpfe spontan drei Hüpfer nach hinten, bis ich die Gitterstäbe von einem Zaun spüre. Mein Herz pocht mir bis zu meinem Hals. Das Eichhörnchen pirscht sich an mich ran. Seine scharfen Nagezähne blitzen. Ich bin starr vor Schreck. Was würde Oma sagen, wenn ich als Eichhörnchen nach Hause kommen würde? Das Eichhörnchen lächelt geheimnisvoll. „Ich bin eine Frau, kleiner Frosch.“ Mir klebt die lange Zunge am Gaumen und ich zittere am ganzen Froschleib. Auf einmal sehe ich die Borsten von einem Besen. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Er fegt das Eichhörnchen einfach weg. Mit einem wohlwollenden Lächeln streckt er seine Hand nach mir aus, sodass ich darauf hüpfen kann. Er lacht, als er meinen schicken Wollpulli sieht. Sieht man halt nicht alle Tage. Vor allem dieses freche Muster. „Kiss me“ hat Oma mir kreativ eingestrickt. Das ist doch lieb von ihr, oder? Oh, nein, was macht der Parkwächter? So schnell kann ich gar nicht reagieren. Er spitzt ultraschnell die Lippen und gibt mir den fettesten Knutscher aller Zeiten, und zwar ein leidenschaftlicher Kuss mit Honigsüße. Oh, nein. Ich wollte doch eine Menschenfrau zum Knutschen. Es macht „PUFF“ und „PENG“ und dann stehe ich vor dem Parkwächter. He, so schlecht sieht er gar nicht aus. So ein bisschen wie George Michael. Naja, was soll's. Drei-Tage-Bar, sanfte rehbraune Augen. Außerdem hat er mich vor dem Eichhörnchen gerettet. Zum Glück hat mein Pulli bei der Vergrößerung mitgemacht. Aber ich habe nichts außer dem Pulli an und das mitten im Januar im Hyde Park. Wie soll das nur enden? Ich bin ein soeben gewordener Mensch oder ein überforderter Froschkönig bei minus 16 Grad. Der Parkwächter ist schon schnuckelig, na denn.