Mittwoch, 8. März 2023

Mein Autoren-Ballettröckchen kneift - eine Anekdote von Frau G.

Ich bin in Elternzeit. Und das nun zum dritten Mal. Misses Knutschknödel ist der blondgelockte, jüngste und frechste Spross unseres Familienclans und fast drei Lenze alt. Bisher war ich bei einem namhaften Softwareunternehmen im Süden Deutschlands arbeiten und habe Softwaredokumentation in allen Größen und Farben in liebevoller Handarbeit gefertigt. Aber ich habe einen Traum. Ich will Autorin werden, und das möglichst während der Elternzeit. Etlicher Schweiß ist schon in zahlreiche Manuskripte geflossen und so warte ich nun täglich auf DEN Anruf. Ich warte auf den Anruf vom Verlag. Übrigens, ich heiße Gerlinde Gans, kurz Frau G. Und mein Motto ist: Gans oder gar nicht. Mein Göttergatte ist nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen, selbst dann nicht, wenn der Bankberater Herr Saft wegen der Dispo-Überziehung anruft. Für Herrn Saft bin ich übrigens die Hausfrau. Das hat er beim letzten Beratungsgespräch mal wieder zum Besten gegeben. Angeblich gibt es keinen Eintrag im Auswahlmenü, der Elternzeit heißt. Herr Saft versucht, da ich drei Kinder habe, verzweifelt seit einigen Monaten mir eine Riester-Rente aufzuschwätzen, aber es gelingt ihm nicht. Inzwischen haben wir Oktober. Wie immer waren wir in den Herbstferien verreist. Natürlich mit der Bahn, weil nur da die Kinder freien Auslauf während der Fahrt haben. Wir kommen müde und erschöpft aus Brüssel zurück, als mir unser Nachbar Herr Brauner einen Stapel Briefe in die Hand drückt. Er hält sich eine Hand vor. „Frau G., Sie hatten einen supergeilen Katalog in Ihrer Post, darf ich ihn mir ausleihen?“ Ich grüble, während sich der cäsarische Unterkiefer meines Göttergatten bedrohlich nach vorne schiebt. Übrigens, dieser Unterkiefer hatte neulich echte Bewunderung von der Kieferorthopädin unseres neunjährigen Juniors erheischt. Unbekümmert sage ich Herrn Brauner:„Ich schenke Ihnen den Katalog.“ Er grinst wie einst der Breitmaulfrosch im Delfin-2-Sprachstandsfeststellungs-Fragekatalog. „Danke“, sagt Herr Brauner und schließt leise die Tür hinter sich. Wieder in der eigenen Bude, durchwühle ich den Briefstapel. Oh! Fette Mahngebühren über zehn Euro, weil ich einen anderen Brief ignoriert hätte. Moment. Ich eile zu meinem Rucksack, schnappe den alten, gammligen nach im-Rucksack-vergessenen-Lachsbrötchen muffelnden Brief und reiße ihn auf. Tatsächlich, eine Rechnung. Da klingelt das Telefon. Der Anrufbeantworter ist schneller. Eine weibliche Stimme spricht aufs Band. Da fällt es mir wieder ein. Bevor wir nach Brüssel gefahren sind, habe ich fünf Manuskripte verschickt. Ich eile ins Arbeitszimmer und drücke erwartungsvoll auf den Wiedergabeknopf. Oh, nein, schon wieder kein Anruf von einem Verlag. Die Dame ist vom hiesigen Stromanbieter. Man droht uns, den Strom auszustellen. Ich bekomme Kornkreise wie bei Bauer Huber auf dem Feld in den Augen, als ich den Betrag trotz stagnierenden Blutdruckes im Brief entziffere. Die Typen wollen exakt 2.477 Euro und 23 Cent. Ich fühle, wie die Erholung von einer Woche Urlaub innerhalb von Sekunden verpufft. Die Dame auf dem Anrufbeantworter sagt, man hätte schon abgebucht und unsere Bank hätte gesagt, dass es ab sofort keine Kontobewegungen mehr gäbe. Wie aus weiter Ferne höre ich das Klingeln an der Haustür. Ich eile nach unten. Schon wieder Herr Brauner. Mein Mann winkt ihn herein. Ich wedele mit dem Brief. „Kennen Sie sich mit Nachzahlungen aus, Herr Brauner?“ Er nickt und keine zwei Minuten später stehen er und mein Göttergatte vor dem allwissenden Stromschaltkasten im Keller. Schritt für Schritt gehen sie alle Kabel durch. Bis eines übrig bleibt. Sie verfolgen die Spur des Kabels, quer durch den Flur, durch zehn Vorratskeller und landen schließlich in der gemeinsamen Waschküche. Herr Brauner wird blass. „Ich glaube, ihr zahlt Strom für ALLE Waschmaschinen.“ Herr Brauner, auch Hausmeister unseres Mehrfamilienhauses schlussfolgert scharf. „Drei Mietparteien haben vor zwei Monaten gewechselt, von Single zu mehrköpfigen Familien.“ Er kratzt sich am Kinn und meint trocken: “Die neue Familie im Erdgeschoss hat fünf Kinder, die im zweiten Stock drei und die dritte hat sieben Verwandte seit Monaten zu Besuch.“ Herr Brauner schreibt mit Bleistift auf die Wand der Waschküche. „Das wären elf Erwachsene und acht Kinder. Für die habt ihr die Stromrechnung bekommen.“ Ich sehe wahrlich düstere Wolken am Schwanensee. Und ich habe kein dekoratives Ballettröckchen mehr. „Und nun?“, blicke ich meinen Göttergatten fragend an. Herr Brauner schraubt tatkräftig die Sicherungen raus. „Anrufen.“ Wir werden Zeuge, wie unser Nachbar mit seiner radiomoderatorengleichen Stimme beim Stromanbieter für uns anruft. Die Dame vom Callcenter steht zum Glück drauf. Um kurz nach sieben klingelt bei uns ein verschlafener Latzhosen-Handwerker. Mein Göttergatte erklärt und erklärt. Aber der Handwerker schüttelt immer wieder nur den Kopf und gähnt herzhaft. „Da kann ich nichts machen.“ Herr Brauner eilt als seelischer Beistand hinzu. Geheimnisvoll hält er etwas hinter seinem Rücken fest. “Meine Frau sagt, sie hätte jemand im Katalog erkannt.“ Er drückt mir den Katalog in die Hand. Als dem schon wieder gähnenden Handwerker beim Betrachten des Kataloges der Unterkiefer stehen bleibt, drücke ich ihm den Dessouskatalog aufgeschlagen in die Hand. Seine Augäpfel rotieren. „Sind Sie das?“ Jetzt ist mir nichts mehr peinlich. „Ja, glauben Sie als Autorin braucht man keine lukrativen Nebenjobs?“ Mein Göttergatte schaut wissend, Herr Brauner blickt zusammen mit dem Handwerker anerkennend. „Autorin ist anscheinend ein interessanter Beruf“, meint schließlich Herr Brauner. Ich beiße auf meiner Unterlippe herum. Ich habe mich entschieden. Ich frage den lüsternen Handwerker, der nun hellwach aus der frechen Latzhose blickt und deute dabei auf die Abbildung. „Würden Sie denn die Sache regeln, wenn ich...?“ Mein Göttergatte ist wie vom Donner gerührt. Ich flüstere ihm zu. „Denk dran, es geht um exakt 2.477 Euro und 23 Cent.“ Aber in den heutigen Zeiten muss man sehen, wo man bleibt, vor allem als Autorin. Fünf Minuten später stehen wir alle vor dem Stromkabelkasten. Der Handwerker knipst freudestrahlend das dubiose Kabel zu den Anzapfern durch. Der schlaue Herr Brauner greift nach den unbeaufsichtigten Bierdosen. Ich seufze, Männer sind doch Kinder. Oh, da fliegt tatsächlich die Mahnung der Stromrechnung, zerrissen in feinste Schnipsel, von dem kooperativen Handwerker. „Wer will noch ein Bier?“ frage ich in edlem Schwarzspitzen-BH mit löchrig feinem Tanga-Slip und wedle mit einer gekühlten Bierdose. Freudestrahlend nimmt mein Göttergatte sie entgegen. Ich wusste doch, dass mir dieser Nebenjob mal nützlich sein wird.

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