Mittwoch, 8. März 2023

Der überforderte Froschkönig

In zahlreichen Zeitschriften liest man heutzutage von überforderten Menschen. Egal, ob man in Zeitschriften im Wartezimmer beim Kieferorthopäden blättert oder bei der Zahnärztin oder auf die soeben bestellte Pizza wartet. Die Zeitschriften sind voll davon, aber nicht nur Menschen können überfordert sein. Es stimmt, ich sitze viel herum, vielleicht ein bisschen zu viel. Wovon ich träume? Von einem Kuss, von einem leidenschaftlichen Kuss mit viel Honigsüße. Das ist lächerlich? Das finde ich überhaupt nicht. Ich bin froh, dass ich noch Träume habe. Denn, was ich durchmache, geht auf keine Kuhhaut. Ja, ich stehe auf tierische Ausdrücke, aber dazu später. Heute ist ein Dienstag. Dienstage sind prinzipiell meine Glückstage, das habe ich mir so ausgedacht. Ja, ich bin erfinderisch. Meine Fantasie ist lebhaft. Zum Glück,sagt meine Oma. Naja, die muss es wissen. Ich bin bei meiner Oma aufgewachsen. Oh, Mann, ich schweife ab. Die Story erzähle ich ein anderes Mal. Also die Geschichte, die ich heute erzähle, beginnt gerade eben - an einem Dienstag, genauer gesagt an einem Dienstagvormittag. Ich sitze im Hyde Park auf einer Bank und beobachte neidisch die Pärchen, die an mir vorüberziehen. Es ist Januar und ganz schön kalt. Zum Glück habe ich meinen dicken Wollpulli an, den hat mir meine Oma passsend gestrickt. Es ist so kalt, dass mein Atem weiße Wolken in der Luft hinterlässt. Warum ich hier im Hyde Park sitze, auf einer kalten Parkbank? Also, das hat den Grund, dass ich auf jemanden warte, den ich knutschen kann. Das ist aber wahr. Was würden Sie denn machen, wenn Sie der Froschkönig wären? Zuhause fernsehen? Sehen Sie, im Park rummlaufen und schauen, ob jemand knutschen will. Übrigens, Oma hat sich mit ihrem neuesten Strick-Kunstwerk sehr viel Mühe gemacht. Es wird langsam Zeit, dass ich unter Dach und Fach komme, hat sie gesagt. Die gefürchtete Zeitbombe tickt sozusagen, auch bei einem Froschkönig. Ein Froschkönig, der in die Jahre gekommen ist, muss schauen, dass sich endlich jemand überwinden kann, ihn zu knutschen. Das ist nicht einfach, wenn man 50 ist und einen schon die ersten Zipperlein plagen. Ich bin nun Froschkönig in der siebten Generation. Unsere adlige Linie hat Tradition in England, so wie die Royals in London. Also, bevor William sich die Kate geschnappt hatte, habe ich es bei ihr probiert. Aber William ist einfach, sagen wir mal, schneller gewesen. Außerdem hatte er den Vorteil, schon ein Mensch zu sein. Und ich will ja Mensch werden. Unbedingt. Mit einem außergewöhnlich eleganten Hüpfer mit Salto schwinge ich mich auf die Lehne der Parkbank, um Überblick zu bekommen. Frauen ziehen erstaunt an mir vorbei. Eine ist brünett, die andere blond. Ich schürze die Lippen, aber nichts passiert. Sie sind nur neugierig. Überblick zu haben, ist wichtig, sagt meine Oma, vor allem, wenn man so klein ist wie ich. Ich bin nur zehn Zentimeter hoch. Okay, wenn ich mich strecke, sind es stolze 35 Zentimeter. Aber zehn Zentimeter Sitzhöhe ist wirklich nicht viel, um aufzufallen. Wenn ich doch wenigstens reden könnte. Ich kann nur quaken. Sobald eine Frau auftaucht, quake ich, wohl ein wenig zu erbärmlich, denn eine Frau verdreht die Augen, die andere lächelt und eine dritte lacht mich aus. Es ist ein hartes Schicksal, ein Froschkönig zu sein. Doch halt, einem Wesen bin ich aufgefallen, einem Eichhörnchen. Ausgerechnet ein Eichhörnchen? Es stürmt auf mich zu. He, stopp, stopp, halt. Ich will doch nicht zum Eichhörnchen werden. Also hüpfe ich schnellstens von der Lehne herunter und flüchte in extraweiten Sprüngen, doch das Eichhörnchen ist verdammt schnell. Schließlich holt es mich ein. Es weiß sofort, was los ist. Es legt keck seinen Kopf in den Nacken. „Na, immer noch ein Frosch?“ Na, toll, voll in die Wunde rein. Ich quake schüchtern ein „Ja“. Es kichert. „Ich hätte da eine Idee.“ Es kommt gefährlich näher und spitzt die Lippen. Ich hüpfe spontan drei Hüpfer nach hinten, bis ich die Gitterstäbe von einem Zaun spüre. Mein Herz pocht mir bis zu meinem Hals. Das Eichhörnchen pirscht sich an mich ran. Seine scharfen Nagezähne blitzen. Ich bin starr vor Schreck. Was würde Oma sagen, wenn ich als Eichhörnchen nach Hause kommen würde? Das Eichhörnchen lächelt geheimnisvoll. „Ich bin eine Frau, kleiner Frosch.“ Mir klebt die lange Zunge am Gaumen und ich zittere am ganzen Froschleib. Auf einmal sehe ich die Borsten von einem Besen. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Er fegt das Eichhörnchen einfach weg. Mit einem wohlwollenden Lächeln streckt er seine Hand nach mir aus, sodass ich darauf hüpfen kann. Er lacht, als er meinen schicken Wollpulli sieht. Sieht man halt nicht alle Tage. Vor allem dieses freche Muster. „Kiss me“ hat Oma mir kreativ eingestrickt. Das ist doch lieb von ihr, oder? Oh, nein, was macht der Parkwächter? So schnell kann ich gar nicht reagieren. Er spitzt ultraschnell die Lippen und gibt mir den fettesten Knutscher aller Zeiten, und zwar ein leidenschaftlicher Kuss mit Honigsüße. Oh, nein. Ich wollte doch eine Menschenfrau zum Knutschen. Es macht „PUFF“ und „PENG“ und dann stehe ich vor dem Parkwächter. He, so schlecht sieht er gar nicht aus. So ein bisschen wie George Michael. Naja, was soll's. Drei-Tage-Bar, sanfte rehbraune Augen. Außerdem hat er mich vor dem Eichhörnchen gerettet. Zum Glück hat mein Pulli bei der Vergrößerung mitgemacht. Aber ich habe nichts außer dem Pulli an und das mitten im Januar im Hyde Park. Wie soll das nur enden? Ich bin ein soeben gewordener Mensch oder ein überforderter Froschkönig bei minus 16 Grad. Der Parkwächter ist schon schnuckelig, na denn.

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